Der Orginalbeitrag ist erschienen unter:

Laszig, P. (1998): Deus ex Multimedia - Körperlichkeit im digitalen Raum. Psychoanalyse im Widerspruch , 10, 19, 93-98.


Parfen Laszig, Heidelberg

Deus ex Multimedia - Körperlichkeit im digitalen Raum

"Der Mensch ist sozusagen eine
Art Prothesengott geworden, recht
großartig, wenn er all seine
Hilfsorgane anlegt, aber sie sind
nicht mit ihm verwachsen und
machen ihm noch gelegentlich viel
zu schaffen."

( Freud 1930, 222)



Im Zeitalter der Digitalität erfährt der Mensch eine Art elektronische Ausweitung. Nach Bukatman (1990) wird demzufolge die bekannte Körper-Geist-Dichotomie, durch eine Trichotomie von Körper, Geist und Maschine abgelöst. Im Zuge der fortschreitenden Autoamputation menschlicher Funktionen durch die Technik McLuhan (1995) und der Zunahme medizinisch-technischer Verfahren zur Kontrolle, Reproduktion und (Re-) Konstruktion menschlicher Körper, werden unsere Körper zunehmend verdinglicht.
Der Freiheit der Gedanken folgt nun die Freiheit der Form - auch der des eigenen Körpers.
Die anzustrebende (Körper-) Form wird durch die Symbiose von Technologie und Schönheitsmythos vorgegeben und scheint nicht länger mit Natürlichkeit gleichzusetzen zu sein.
In der Flut der durch die Massenmedien vorgegebenen Bilder wird der Körper einerseits als Ort natürlichen Vergnügens und Lust zum "makellosen Heiligtum" stilisiert (man denke an die Werbevideos für Kosmetika, Mineralwasser etc.), anderseits aber auch "horrorfilmhaft" entweiht (wie in den sog. "Splatterfilmen", in denen Körper zersägt, zerstückelt, zerstört werden).

Der Körper wird jedoch in beiden Fällen in und durch die Medien zunehmend verdinglicht und verliert letztendlich das Subjekthafte.
Im Übergang zum 21. Jahrhunder ist Technologie das Mittel (inter-) aktiver Gestaltung von "Objekten".
Jenseits aller sozialer, politischer und letztendlich kultureller Grenzen lockt ein computeranimiertes Multiversum, in dem nach Thomas (1994) der transhumane Mensch, Material, Form und Beschaffenheit des Körpers selbst wählen kann. Sei es real unter Zuhilfenahme computergenerierter Chirurgie oder virtuell als digitale Repräsentation eines körperfernen Ichs; als ein sogenannter Datenkörper, der sich "frei" im Internet bewegt, "ohne Mangel und Behinderung" ( Zizek 1997), ein Phantasma unbegrenzter Machbarkeit und letztendlich Autonomie.

Doch auch diese phantasmatischen Datenkörper als "digitale Repräsentanten" sind nicht frei von kulturellen Regeln. So ergibt sich in den Netzkontakten und deren virtuellen "Treffpunkten", den sogenannten "Chatting-Rooms", permanent eine Art "Verwirrung des sicheren Geschlechts" (Wiesmeyer 1988). Verwirrung, da in der "Virtual Reality" man/frau letztendlich nicht "wirklich" wissen kann, wer die/der Gegenüber im wahren Leben (dem sog. "Real Life") ist, sondern nur, was diese Person zu sein vorgibt.(1.)
In ihrem Manifest für Cyborgs formuliert Haraway (1995, 50) diese "Verwirrung" im erweiterten Sinne: "Kein Objekt, Raum oder Körper sind mehr heilig und unberührbar. Jede beliebige Komponente kann mit jeder anderen verschaltet werden, wenn eine passende Norm oder ein passender Code konstruiert werden kann, um Signale in einer gemeinsamen Sprache auszutauschen."
Unabhängig von der Frage der technischen Ausgestaltung und Machbarkeit (2.), birgt die von Haraway verwendete Formulierung der "Verschaltung" doch auch ein symbiotisches Bedürfnis nach grenzenloser Verschmelzung: Im Netz sind wir ein kollektives Eins, zeitlos verbunden und umgeben von einer magisch-technoreligiösen Aura.

Nach Stone (vgl. Dery 1996) lösen diese entkörperlichten oder die Fähigkeit steigernden Technologien eine Art Verzückung und unreflektierte Faszination aus, den tiefen kindlichen Wunsch, den eigenen Körper verlassen zu können und die (verlorene) Einheit wiederherstellen zu können.
Doch das Verlassen des Körpers und damit Übertreten der Grenze in die Hyperrealität weckt neben der narzißtischen Verzückung auch tiefsitzende Ängste.

Wo Primär- und Sekundärprozesse zusammenfallen, Halluzinationen "bewußt" erzeugt und kontrolliert werden können, heißt "Cyberspace betreten tatsächlich Cyberspace anziehen. Ein Cyborg zu werden und den verführerischen und gefährlichen cybernetischen Raum wie ein Kleidungsstück anzuziehen, bedeutet auch, das Weibliche anzuziehen. Cyberspace ist zugleich eine Entkörperlichung (...) und Wiederverkörperung im polymorphen, hyperoberflächlichen Charakter des Console-Cowboys. Wenn dieser beladene, vielgeschlechtlich halluzinatorische Raum über die physische Person des Console-Cowboys hereinbricht, wird durch die intensive Fühlbarkeit, die mit einem derartig neu konzipierten Körper verbunden ist, jene verführerische Qualität erzeugt, die man als 'cybernetic act' bezeichnen könnte." (Stone 1991).
Das von Stone verwendete Bild des "Kleidungsstücks" kann hier durchaus auch im wörtlichen Sinn gelesen werden. Die technische AusRüstung zum "Betreten" einer virtuell erzeugten Umgebung geht nach Rheingold (1995) über Datenhandschuhe, -helme und Minitatursensoren immer weiter in Richtung von Hi-Tech-Ganzkörperanzügen und sollen ein Gefühl von "taktiler Präsenz" vermitteln können.


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Amplified Body (Stelarc)


Der 'cybernetic act' kann dann zum Sexualakt mit und in der Umgebung eines Computerprogramms werden, wie er u.a. im "Rasenmäher-Mann" (Leonard 1992) seine filmische Animation findet.
Dieser "cybernetic act' wirkt nicht nur in obiger Beschreibung faszinierend und bedrohlich zugleich. Die Angstlust vor dem weiblichen, weichen Körper bzw. einer weiblichen, verschlingenden Sexualität ist ein basales Moment der Mechanoerotik der Cyberkultur. In ihren Bildern zeigt sich die "Verletzlichkeit einer im Feuer der Weiblichkeit geschmiedeten Männlichkeit" (Benjamin 1990) und in deren Fortführung, letztendlich der Widerwillen und Ekel vor dem Körper, aus dem wir kommen und dem, der wir sind.

Die Vereinigung von Fleisch und Maschine findet ihren sublimierten Ausdruck u.a. in den Bildern von Ungerer ( "Fornicon" 1991) und Giger ("ARH+" 1992, "Biomechanics" 1992) als auch in SF-Filmen wie "Blade Runner" (Scott 1982), 2001: "Odyssee im Weltraum" (Kubrik 1968), "Crash" (Cronenberg 1996) oder "Terminator II" (Cameron 1991). Sei dies - wie im letztgenannten - in der Hypermaskulinität des Schwarzeneggerschen T-800, als auch seiner dualistischen Entsprechung, dem protoplasmatischen, weiblich-"aufsaugenden" T-1000 (3.) .


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T-1000 (Cameron 1991)


Verwischt werden hier die Grenzen/Schnittstellen zwischen Mensch, Tier und Maschine: Körper werden digital vermischt, sozusagen gepaart.
Diese "Paarung" zwischen Mensch und Maschine erfolgt hier im übertragenen Sinn:

Und ebenfalls im "Realen" (als erweiterter Modus des cybernatic acts):

Das mitunter Beunruhigende in den genannten Filmen ist, daß "die Maschinen (...) die Differenz von natürlich und künstlich, Körper und Geist, selbstgelenkter und außengesteuerter Entwicklung sowie viele andere Unterscheidungen, die Organismen und Maschinen zu trennen vermochten, höchst zweideutig werden (lassen). Die Maschinen erscheinen auf verwirrende Weise quicklebendig - die Menschen selbst dagegen beängstigend träge." (Haraway 1995, 37).

Wie im Film "Blade Runner" entdecken jedoch sowohl die menschlichen als auch die androiden Protagonisten im Verlauf ihrer Entwicklung ihre körperlichen als auch psychischen Begrenzungen. Diese im wahrsten Sinne schmerzliche Erfahrung - läßt sie letztendlich lebendig (und in gewisser Weise auch sterblich) werden.

Schmerz - sei es in physischer als auch in psychischer Hinsicht - birgt in dieser Hinsicht die Qualität subjektiver Empfindung und bringt den/die Einzelne/n zur BeSINNung.
Der Schmerz bringt uns demzufolge in unseren Körper und damit in die Realität zurück. Man denke an dieser Stelle an Patient/innen, die sich durch Selbstverletzungen wie Ritzen, Brennen etc. oftmals aus Zuständen der Dissoziation und Ich-Auflösung zurückholen.
In der künstlichen Welt der Robotik und des Cyberspace findet sich diese mitunter schmerzhaft reale Körperlichkeit letztendlich jedoch nur noch als mediale Erfahrung. Die fast vollständige Reduktion jeglicher sinnlicher Erfahrung auf den unaufhörlichen Strom elektronischer Bilder, hat nachDery (1996) den Charakter einer "terminalen Betäubung" und führt nach Ballard (1996) zur Übernahme jeder freien oder ursprünglichen phantasievollen Reaktion auf Erfahrungen durch den Fernseh-/Computerbildschirm.
Der Bildschirm, das vernetzte Terminal, als eine Art "kollektiver Feuerstelle" überflutet dabei die Invdividuen mit massenweise produzierten, phantasmatisch aufgeladenen Bildern. Beispielhaft sei hier der Musikkanal VIVA erwähnt, der seine vorwiegend jugendlichen Zuschauer/innen mit schnell Videoclips mit vorwiegend sexuell oder aggressiv getönten Inhalten "bedient". (Traum-) Bilder entstehen hier nicht länger in den Köpfen der geschnittenEinzelnen sondern werden kollektiv induziert. Gefördert wird nicht die Phantasie sondern eine Form passiven Voyeurismus.
Diese medial induzierte Betäubung und in letzter Konsequenz Vernichtung körperlicher Erfahrungen reduziert menschliches Da-Sein auf "eine Wolke von Information" (Hine 1991). Dies zwingt uns, die Grundlagen unserer Natur neu zu überprüfen und zu zivilisieren. Der Cyberspace scheint sich in dieser Hinsicht in einem noch unartikulierten, primitiven Zustand zu befinden.
In Stammeskulturen dient u.a. der Körper als Medium, den "primitiven" Zustand zu verlassen. Dazu Strauss (1989, 158): "In other traditions permanent and temporary body manipulations are often sacred or magical, and always social. The unmarked body is a raw, inarticulate, mute body. It is only when the body acquires the "marks of civilization" that it begins to communicate and becomes an active part of the social body."
Vielleicht fördert dahingehend das Gefühl der Betäubung, sozialen Entfremdung, des Ausgeliefertseins und der Machtlosigkeit das aufkommende Interesse an Körperarbeit, Bodybuilding, Piercing, S&M-Praktiken etc.
Der Körper wird dort als Ort des Vergnügens, der Lust, des Schmerzes und der Faszination wiederentdeckt. Gleichzeitig wird er zu einem Ort des gesellschaftlichen Widerstands (vgl. Fiske 1991, Harris 1992, Angerer 1993).

Im cyberianischen Zustand der Vereinzelung, per Modem und Bildschirm verbunden und gleichzeitig ab/getrennt, entsteht der Wunsch und die Sehnsucht in unsere Körper zurückzukehren, diese zu spüren, die bedrohte Grenze wiederherzustellen, um Kontrolle zurückzugewinnen.
Jenseits des medialen Dauerfeuers gilt es Räume zu erhalten, in denen Körper und Bewußtsein nicht gespalten werden, sondern vielmehr als "natürliche Einheit" erfahren werden können. Bleibt dieser soziale Kontext erhalten, können die technischen "Hilfsorgane" nicht nur zur "mentalen Masturbation" dienen, sondern tatsächlich eine phantasievolle und befriedigende Form der Erweiterung bedeuten.



Literatur

Angerer, M.-L. (1993) The Pleasure of the Interface. Beziehungsgeflechte in einer tele-matischen Kultur. Das Argument, 201, 737-748.
Ballard, C.G. (1996) In: V. Vale & Juno (Hrsg.): Re/Search 12: Modern Primitives. V/Search: San Francisco.
Benjamin, J. (1990) Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht. Stroemfeld/Roter Stern: Basel, Frankfurt am Main.
Bukatman, S. (1990) Who Programms You. In: A. Kuhn (ed.): Alien Zone: Cultural Theory and Contemporary Science Fiction Cinema. Verso: London.
Cameron, J. (1991) Terminator II - Judgement Day. Courtesy of TriStar Pictures.
Cronenberg, D. (1996) Crash. Nach dem Roman von J.G. Ballard. Goldmann: München.
Dery, M. (1996) Cyber - Die Kultur der Zukunft. Volk und Welt: Berlin.
Fiske, J. (1991) Television Culture. Routledge: London.
Freud, S. (1930) Das Unbehagen in der Kultur. Freud-Studienausgabe IX, 191-270, Fischer: Frankfurt am Main.
Giger, H.R. (1992) Arh+. Taschen: Köln.
Giger, H.R. (1992) Biomechanics. Morpheus: International .
Haraway, D. (1995) Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Campus: Frankfurt, New York.
Harris, D. (1992) From Class Struggle to the Politics of Pleasure. The Effects of Gramscianism on Cultural Studies. Routledge: London, New York.
Hine, T. (1991) Facing Tomorrow: What the Future has been, What the Future can be. Knopf, New York .
Kubrik, S. (1968) 2001: Odyssee im Weltraum. Turner Entertainment Co.
Leonard, B. (1992) Der Rasenmäher-Mann. Nach der Kurzgeschichte von S. King, 1978.
McLuhan, M. (1995) Die magischen Kanäle. Understanding Media. Verlag der Kunst: Dresden.
Rheingold, H. (1995): Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace. Reinbek bei Hamburg.
Scott, R. (1982) Blade Runner. Nach dem Roman "Do Androids Dream of Electric Sheep?" von P.K. Dick, 1968.
Stelarc [Online]: Amplified Body. Available HTTP: http://www.stelarc.va.com.au/ampbod/ampbod.html
Stone, A.R. (1991) Will the Regal Body Please Stand Up. In: M. Benedikt (ed.) Cyber-space: First Steps, 81-118. MIT Press: Cambridge, Mass. Als Online-Dokument unter http://www.rochester.edu/College/FS/Publications/StoneBody.html
Strauss, D.L. (1989): Modern Primitives. In Vale & Juno (Hrsg.) Re/Search 12: Modern Primitives, San Francisco, 157-158.
Thomas, W (1994) NanoCyborgs. Mondo 2000, 12.
Ungerer, T. (1991) Fornicon. Diogenes: Zürich.
Wiesmeyer, E.. (1988) Verwirrung des sicheren Geschlechts. Aspekte des Androgynen im Kino. In: G. Schlemmer (Hrsg.): Kinoschriften. Jahrbuch für Filmtheorie 1, Wien, 39-57.
Zimmermann, Th., Laszig, P. (1997): MUDing - Das Spiel mit den Identitäten. Psychologie Heute, 24, 8, 48.
Zizek, S. (1997): Die Pest der Phantasmen. Die Effizienz des Phantasmatischen in den neuen Medien. Passagen Verlag: Wien.


Fußnoten

1. Das Spiel mit den Geschlechtidentitäten ist ein verbreitetes Phänomen in den rund 720 weltweiten MUDs (Multi User Dimensions). Die Zahlen für "Habitat" eine kommerzielle Multi-User Dimension mit rund 1,5 Millionen eingeschriebenen Teilnehmern und Teilnehmerinnen verdeutlichen diesen Umstand: Während bei den Eingeschriebenen das Verhältnis Männer zu Frauen 4:1 beträgt, sinkt der Anteil der männlichen Charakteter im Spiel selbst auf 3:1 (Zimmermann & Laszig, 1997)

2. Noch scheint bei der Mehrzahl der Anwender/innen die "technische Realität" bzw. PC-Ausrüstung diese Phantasien real zu begrenzen. Folgen wir den Forscher/innen am MIT (Massachusetts Institute of Technology) und anderen Institutionen scheint jedoch auch dies nur eine relative Frage der (Rechen-) Zeit zu sein.

3. Das aus Flüssigmetall bestehende Terminator-Modell T-1000 ist in der Lage in kürzester Zeit jede gewünschte Gestalt anzunehmen und so seine Opfer zu täuschen und in Folge zu töten.




Anschrift des Verfassers:

Parfen Laszig(Dipl.Psych.)
Psychosomatische Klinik der Universität Heidelberg
Thibautstr. 2, 69115 Heidelberg
eMail: parfen_laszig@med.uni-heidelberg.de
http://www.parfenlaszig.de



[eMailme] © Parfen Laszig - this document was updated: 07.07.2004